Seit dem Frühjahr kann
man in Nordirland regelmäßig Paraden beobachten. Die sogenannte
„Orange Order“ (Oranier Orden) ist eine protestantische
Organisation, in der hauptsächlich Loyalists aktiv sind, in manchen
Gegenden ist es sozusagen 'gesellschaftliche Pflicht', Mitglied zu
sein, die Kinder wachsen also damit auf. So kann man bei den Paraden
auch immer kleine Knirpse mitlaufen sehen und weiß dabei immer nicht
so recht, was man davon halten soll. Schließlich verstehen diese Kinder noch gar nicht, worum es eigentlich geht.
Was steckt hinter dem
Oranier Orden?
Die Organisation, die erst
1795 gegründet wurde, ist nach William the Orange (William der
Oranier) benannt, der am 12. Juli 1690 beim Battle of the Boyne den
katholischen König (samt irisch-katholischem Heer) Jakob II besiegt
hat. Sie soll an den Sieg und die Überlegenheit des Protestantismus
gegenüber der irischen Katholiken erinnern.
Deswegen konzentriert sich
alles auf dieses magische Datum: der 12. Juli. In der Regel findet
die große Parade am 12. Juli statt (dieses Jahr war sie jedoch
wegen der Feiertage am 13. Juli) und die Bonfire Night ist die Nacht
davor.
Seit Wochen wurden in
allen protestantischen Gegenden riesige Feuerstellen aus Holzpaletten
und Autoreifen aufgetürmt, die Paletten waren oftmals farblich
passend in rot-weiß-blau (Union Jack) gehalten und es entsteht eine
Art Wettbewerb, welche 'Community' das größte Feuer zu Stande
bringt. Ignoriert man den politischen Hintergrund und die
unglaubliche Umweltverschmutzung, die das mit sich bringt, kann man
die Teamarbeit, die das erfordert, wirklich bewundern. Von Klein bis
Groß hilft jeder mit, monatelang genug Holz zu sammeln und je größer
das Feuer wird, desto mehr muss es geschützt werden: es gibt
teilweise also sogar Schichtsysteme, sodass nachts immer jemand zum
Wache halten vor Ort ist. Manche Jugendliche schlafen sogar mit
Matratzen auf den großen Holzkonstrukten.
Mehrere Feuer wurden
dieses Jahr bereits unerlaubt vorzeitig angezündet und wenn man den
Aufwand betrachtet, mit dem diese gebaut werden, dann kann man sich
denken, dass dies nicht geplant war, sondern jemand verhindert
wollte, dass diese Gruppe das größte Feuer baut.
Teilweise werden die Feuer
sogar extrem nah an Wohnhäusern errichtet – nicht immer mit
Zustimmung der gesamten Gemeinschaft. Das führt jedoch nicht etwa
dazu, dass das Feuer an einem anderen Ort gebaut werden muss;
stattdessen werden die Fenster verbarrikadiert, Menschen flüchten
vorübergehend und Versicherungen kündigen an, eventuelle
Brandschäden nicht zu übernehmen.
Die Polizei würde sicher
gern etwas dagegen unternehmen, ist aber – wie so oft – relativ
machtlos, bestehende Gesetze umzusetzen, da dies so ein großer Teil
der protestantischen Kultur ist und bei polizeilichem Eingreifen,
Aufstände und Unruhen riskiert werden.
Viele Feuer werden zudem
auch mit irischen Flaggen, Bildern/Nachbildungen vom Papst (da
Oberhaupt der katholischen Kirche), irisch/republikanischen
Wahlplakaten, Bobby Sands Nachbildungen (republikanischer Freiheitskämpfer und
Hungerstreiker, eine Art Heldenfigur der Catholics) oder anderen katholisch-irischen Symbolen
'geschmückt', welche dann mit dem Feuer natürlich verbrannt werden.
Dass dies nicht besonders friedensstiftend ist und man wohl in keinem
anderem Teil des Vereinigten Königreiches Flaggen eines anderen
Staates verbrennen dürfte, versteht sich wohl von selbst.
Während Viele, die mit
dieser Kultur nicht so viel zu tun haben (wollen), über die
Feiertage lieber aus Nordirland flüchten und es eine regelrechte
Urlaubswelle gibt, haben wir uns entschieden, uns dieses Wochenende
anzusehen und zu einem Bonfire und der großen Parade zu gehen.
Schließlich werden wir
wohl nie wieder für dieses Wochenende nach Nordirland kommen (denn
außer Bonfires und Paraden läuft da nicht viel) und da diese
Tradition Jahr für Jahr heiß und kontrovers diskutiert wird, können
wir ja nur dann ein wenig mitreden, wenn wir es uns einmal mit
eigenen Augen angeschaut haben.
Vorher hörten wir uns
natürlich um, ob es denn sicher sei, zu einem dieser Bonfires zu
gehen oder ob wir als 'Fremde' mit Misstrauen behandelt werden
würden. Die Antworten darauf fielen recht unterschiedlich aus:
während Freunde aus 'katholischen' Gebieten eher ein grundsätzliches
Misstrauen hegten, ermunterten uns unsere Kollegen, dass das nichts
Schlimmes sei, solange wir keine politischen Diskussionen anfingen.
Da eine unserer
Jugendgruppen außerdem eines der Bonfire mitgebaut hatte,
entschlossen wir uns, zu diesem – an der Shankill Road – zu
gehen.
Ich muss sagen, dass das
Ganze weniger beängstigend wirkte, als ich mir das vorgestellt
hatte. Gerade in diesen wirtschaftlich schwachen Interface Areas wie
der Shankill Estate ist im Prinzip das ganze Jahr nichts los. Gerade
für Jugendliche gibt es außer dem örtlichen Jugendclub und der
Orange Order keine Angebote und sie sind oft von Perspektivlosigkeit
umgeben. Diese Nacht ist in etwa DIE Nacht des Jahres. Jeder ist
draußen auf der Straße, es gibt Musik und natürlich massig
Alkohol, im Prinzip ist das eine große Party und genau deswegen
kommt man in genau diesen Gegenden nicht weit, wenn man z.B. die
Bonfires verbieten möchte. Es gibt jedoch Leute, die mit den
Jugendlichen arbeiten und versuchen, die Bonfires friedlicher zu
machen. Am Shankill Bonfire wurden z.B. 'nur' zwei irische Flaggen
(eine davon mit der Abkürzung K.A.T. - Kill All Taigs (Taigs ist ein
abwertender Begriff für Catholic) verbrannt. Das mag nicht so
friedlich klingen, ist jedoch für diese Gegend wirklich
fortschrittlich, wenn man das so sagen kann.
Das Feuer an sich war
wirklich riesig und es wurde unglaublich heiß drumherum. Angst
hatten wir jedoch gar nicht, wir haben viele Fotos gemacht und
dadurch wurden die Leute auch darauf aufmerksam, dass wir nicht von
hier kommen. Das führte natürlich zu neugierigen Fragen, jedoch war
jeder einzelne total begeistert, dass Leute aus Deutschland und
Russland ausgerechnet zu ihrem Bonfire kommen. Sie wollten
fotografiert werden und gaben uns Plastikbrillen in Union Jack Farben
und haben sich wirklich geehrt gefühlt, auch wenn der Alkohol sicher
zur Begeisterung beitrug.
Ich bin auf jeden Fall
froh, dass wir uns diese Tradition einmal angeschaut haben.
Gleichzeitig muss man das natürlich mit Vorsicht genießen,
schließlich kennen wir den Hintergrund und die positive Reaktion auf
unsere Herkunft ist vielleicht auch nur dem geschuldet, dass wir aus
dem Ausland kommen. Hätten wir uns als 'Catholics' geoutet, wäre
das vielleicht ganz anders abgelaufen.
Ähnliche Erfahrungen
machten wir dann auch bei der großen Parade am 13. Juli. Die Route
lief ganz in der Nähe von unserem Haus entlang und die Straßen
waren gesäumt mit Menschen, auf Campingstühlen sitzend, in Union
Jack Farben gekleidet und mit jeder Menge Alkohol. (obwohl Alkohol in
der Öffentlichkeit ja eigentlich verboten ist)
Die Parade ließ dann auch
nicht lang auf sich warten und die war unglaublich lang! Mehrere
Stunden liefen verschiedenen Orange Order Bands aus ganz Nordirland
und sogar aus Schottland und Liverpool mit ihren Trommeln und in
unterschiedlichen Uniformen vorbei und wurden von den Zuschauern
gefeiert. Natürlich hatte das etwas eroberndes, kolonialistisches an
sich und es ist durchaus verständlich, wieso 'Catholics' sich nicht
sicher fühlen, wenn diese Paraden in ihren Wohngebieten marschieren.
Das ist nämlich das eigentliche Problem: die Route der Parade läuft
an katholischen Gebieten und katholischen Kirchen vorbei. Dies wird
zwar versucht, durch die Parades Commission in Schach zu halten, doch
auch das ist nur bedingt möglich, da der Großteil der Orange Order
kein Verständnis dafür aufbringt, wieso sie nicht in allen Gebieten
ihrer Stadt marschieren dürfen. Sobald es Einschränkungen gibt,
kommt es zu Tumulten.
Auch hier wurde natürlich
schnell bemerkt, dass wir nicht aus Belfast kommen, die einzelnen
Bandmitglieder blieben also öfter mal stehen, um uns zu fragen,
woher wir kommen oder Fotos mit uns zu machen. Und ehe ich mich
versah, hing mir einer von ihnen seine orange Schärpe um, drückte mir zwei
Holzgegenstände in die Hand und schob mich für ein Foto vor das
große traditonelle Banner. So recht wohl habe ich mich damit
natürlich nicht gefühlt, aber generell wurden wir sehr freundlich
empfangen. Und auch hier wäre das wohl anders gewesen, wenn wir
Catholics gewesen wären.
Später kam es dann auch
in Belfast zu den jährlichen Tumulten im Bereich der Ardoyne Road,
Twaddell Avenue und der Crumlin Road in North Belfast. Ardoyne ist
ein republikanisch geprägtes Gebiet, umgeben von protestantischen
Gegenden an der Twaddell und Crumlin Road. Seit 2013 darf die Parade
nicht mehr direkt durch dieses republikanisch/katholische Gebiet
marschieren, es gibt jedes Jahr große Polizeibarrikaden und
Demonstranten. Jährlich werden Backsteine geworfen, Wasserwerfer
kommen zum Einsatz und es gibt Molotovcocktails.
Während die Parade am
Vormittag recht friedlich ablief, gab es Unruhen auf dem Rückweg,
acht Polizisten wurden verletzt und ein 16-jähriges Mädchen wurde
unter einem Auto eingeklemmt und verletzt. Trotz alledem waren die
Tumulte dieses Jahr bereits weitaus geringer und es wäre schön,
wenn sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt.
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