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Dienstag, 14. Juli 2015

#34 - BONFIRES AND PARADE SEASON

Seit dem Frühjahr kann man in Nordirland regelmäßig Paraden beobachten. Die sogenannte „Orange Order“ (Oranier Orden) ist eine protestantische Organisation, in der hauptsächlich Loyalists aktiv sind, in manchen Gegenden ist es sozusagen 'gesellschaftliche Pflicht', Mitglied zu sein, die Kinder wachsen also damit auf. So kann man bei den Paraden auch immer kleine Knirpse mitlaufen sehen und weiß dabei immer nicht so recht, was man davon halten soll. Schließlich verstehen diese Kinder noch gar nicht, worum es eigentlich geht.

Was steckt hinter dem Oranier Orden?
Die Organisation, die erst 1795 gegründet wurde, ist nach William the Orange (William der Oranier) benannt, der am 12. Juli 1690 beim Battle of the Boyne den katholischen König (samt irisch-katholischem Heer) Jakob II besiegt hat. Sie soll an den Sieg und die Überlegenheit des Protestantismus gegenüber der irischen Katholiken erinnern.

Deswegen konzentriert sich alles auf dieses magische Datum: der 12. Juli. In der Regel findet die große Parade am 12. Juli statt (dieses Jahr war sie jedoch wegen der Feiertage am 13. Juli) und die Bonfire Night ist die Nacht davor.

Seit Wochen wurden in allen protestantischen Gegenden riesige Feuerstellen aus Holzpaletten und Autoreifen aufgetürmt, die Paletten waren oftmals farblich passend in rot-weiß-blau (Union Jack) gehalten und es entsteht eine Art Wettbewerb, welche 'Community' das größte Feuer zu Stande bringt. Ignoriert man den politischen Hintergrund und die unglaubliche Umweltverschmutzung, die das mit sich bringt, kann man die Teamarbeit, die das erfordert, wirklich bewundern. Von Klein bis Groß hilft jeder mit, monatelang genug Holz zu sammeln und je größer das Feuer wird, desto mehr muss es geschützt werden: es gibt teilweise also sogar Schichtsysteme, sodass nachts immer jemand zum Wache halten vor Ort ist. Manche Jugendliche schlafen sogar mit Matratzen auf den großen Holzkonstrukten.
Mehrere Feuer wurden dieses Jahr bereits unerlaubt vorzeitig angezündet und wenn man den Aufwand betrachtet, mit dem diese gebaut werden, dann kann man sich denken, dass dies nicht geplant war, sondern jemand verhindert wollte, dass diese Gruppe das größte Feuer baut.
Teilweise werden die Feuer sogar extrem nah an Wohnhäusern errichtet – nicht immer mit Zustimmung der gesamten Gemeinschaft. Das führt jedoch nicht etwa dazu, dass das Feuer an einem anderen Ort gebaut werden muss; stattdessen werden die Fenster verbarrikadiert, Menschen flüchten vorübergehend und Versicherungen kündigen an, eventuelle Brandschäden nicht zu übernehmen.
Die Polizei würde sicher gern etwas dagegen unternehmen, ist aber – wie so oft – relativ machtlos, bestehende Gesetze umzusetzen, da dies so ein großer Teil der protestantischen Kultur ist und bei polizeilichem Eingreifen, Aufstände und Unruhen riskiert werden.
Viele Feuer werden zudem auch mit irischen Flaggen, Bildern/Nachbildungen vom Papst (da Oberhaupt der katholischen Kirche), irisch/republikanischen Wahlplakaten, Bobby Sands Nachbildungen (republikanischer Freiheitskämpfer und Hungerstreiker, eine Art Heldenfigur der Catholics) oder anderen katholisch-irischen Symbolen 'geschmückt', welche dann mit dem Feuer natürlich verbrannt werden. Dass dies nicht besonders friedensstiftend ist und man wohl in keinem anderem Teil des Vereinigten Königreiches Flaggen eines anderen Staates verbrennen dürfte, versteht sich wohl von selbst.

Während Viele, die mit dieser Kultur nicht so viel zu tun haben (wollen), über die Feiertage lieber aus Nordirland flüchten und es eine regelrechte Urlaubswelle gibt, haben wir uns entschieden, uns dieses Wochenende anzusehen und zu einem Bonfire und der großen Parade zu gehen.
Schließlich werden wir wohl nie wieder für dieses Wochenende nach Nordirland kommen (denn außer Bonfires und Paraden läuft da nicht viel) und da diese Tradition Jahr für Jahr heiß und kontrovers diskutiert wird, können wir ja nur dann ein wenig mitreden, wenn wir es uns einmal mit eigenen Augen angeschaut haben.

Vorher hörten wir uns natürlich um, ob es denn sicher sei, zu einem dieser Bonfires zu gehen oder ob wir als 'Fremde' mit Misstrauen behandelt werden würden. Die Antworten darauf fielen recht unterschiedlich aus: während Freunde aus 'katholischen' Gebieten eher ein grundsätzliches Misstrauen hegten, ermunterten uns unsere Kollegen, dass das nichts Schlimmes sei, solange wir keine politischen Diskussionen anfingen.
Da eine unserer Jugendgruppen außerdem eines der Bonfire mitgebaut hatte, entschlossen wir uns, zu diesem – an der Shankill Road – zu gehen.

Ich muss sagen, dass das Ganze weniger beängstigend wirkte, als ich mir das vorgestellt hatte. Gerade in diesen wirtschaftlich schwachen Interface Areas wie der Shankill Estate ist im Prinzip das ganze Jahr nichts los. Gerade für Jugendliche gibt es außer dem örtlichen Jugendclub und der Orange Order keine Angebote und sie sind oft von Perspektivlosigkeit umgeben. Diese Nacht ist in etwa DIE Nacht des Jahres. Jeder ist draußen auf der Straße, es gibt Musik und natürlich massig Alkohol, im Prinzip ist das eine große Party und genau deswegen kommt man in genau diesen Gegenden nicht weit, wenn man z.B. die Bonfires verbieten möchte. Es gibt jedoch Leute, die mit den Jugendlichen arbeiten und versuchen, die Bonfires friedlicher zu machen. Am Shankill Bonfire wurden z.B. 'nur' zwei irische Flaggen (eine davon mit der Abkürzung K.A.T. - Kill All Taigs (Taigs ist ein abwertender Begriff für Catholic) verbrannt. Das mag nicht so friedlich klingen, ist jedoch für diese Gegend wirklich fortschrittlich, wenn man das so sagen kann.











Das Feuer an sich war wirklich riesig und es wurde unglaublich heiß drumherum. Angst hatten wir jedoch gar nicht, wir haben viele Fotos gemacht und dadurch wurden die Leute auch darauf aufmerksam, dass wir nicht von hier kommen. Das führte natürlich zu neugierigen Fragen, jedoch war jeder einzelne total begeistert, dass Leute aus Deutschland und Russland ausgerechnet zu ihrem Bonfire kommen. Sie wollten fotografiert werden und gaben uns Plastikbrillen in Union Jack Farben und haben sich wirklich geehrt gefühlt, auch wenn der Alkohol sicher zur Begeisterung beitrug.
Ich bin auf jeden Fall froh, dass wir uns diese Tradition einmal angeschaut haben. Gleichzeitig muss man das natürlich mit Vorsicht genießen, schließlich kennen wir den Hintergrund und die positive Reaktion auf unsere Herkunft ist vielleicht auch nur dem geschuldet, dass wir aus dem Ausland kommen. Hätten wir uns als 'Catholics' geoutet, wäre das vielleicht ganz anders abgelaufen.











Ähnliche Erfahrungen machten wir dann auch bei der großen Parade am 13. Juli. Die Route lief ganz in der Nähe von unserem Haus entlang und die Straßen waren gesäumt mit Menschen, auf Campingstühlen sitzend, in Union Jack Farben gekleidet und mit jeder Menge Alkohol. (obwohl Alkohol in der Öffentlichkeit ja eigentlich verboten ist)
Die Parade ließ dann auch nicht lang auf sich warten und die war unglaublich lang! Mehrere Stunden liefen verschiedenen Orange Order Bands aus ganz Nordirland und sogar aus Schottland und Liverpool mit ihren Trommeln und in unterschiedlichen Uniformen vorbei und wurden von den Zuschauern gefeiert. Natürlich hatte das etwas eroberndes, kolonialistisches an sich und es ist durchaus verständlich, wieso 'Catholics' sich nicht sicher fühlen, wenn diese Paraden in ihren Wohngebieten marschieren. Das ist nämlich das eigentliche Problem: die Route der Parade läuft an katholischen Gebieten und katholischen Kirchen vorbei. Dies wird zwar versucht, durch die Parades Commission in Schach zu halten, doch auch das ist nur bedingt möglich, da der Großteil der Orange Order kein Verständnis dafür aufbringt, wieso sie nicht in allen Gebieten ihrer Stadt marschieren dürfen. Sobald es Einschränkungen gibt, kommt es zu Tumulten.

Auch hier wurde natürlich schnell bemerkt, dass wir nicht aus Belfast kommen, die einzelnen Bandmitglieder blieben also öfter mal stehen, um uns zu fragen, woher wir kommen oder Fotos mit uns zu machen. Und ehe ich mich versah, hing mir einer von ihnen seine orange Schärpe um, drückte mir zwei Holzgegenstände in die Hand und schob mich für ein Foto vor das große traditonelle Banner. So recht wohl habe ich mich damit natürlich nicht gefühlt, aber generell wurden wir sehr freundlich empfangen. Und auch hier wäre das wohl anders gewesen, wenn wir Catholics gewesen wären.
























Später kam es dann auch in Belfast zu den jährlichen Tumulten im Bereich der Ardoyne Road, Twaddell Avenue und der Crumlin Road in North Belfast. Ardoyne ist ein republikanisch geprägtes Gebiet, umgeben von protestantischen Gegenden an der Twaddell und Crumlin Road. Seit 2013 darf die Parade nicht mehr direkt durch dieses republikanisch/katholische Gebiet marschieren, es gibt jedes Jahr große Polizeibarrikaden und Demonstranten. Jährlich werden Backsteine geworfen, Wasserwerfer kommen zum Einsatz und es gibt Molotovcocktails.
Während die Parade am Vormittag recht friedlich ablief, gab es Unruhen auf dem Rückweg, acht Polizisten wurden verletzt und ein 16-jähriges Mädchen wurde unter einem Auto eingeklemmt und verletzt. Trotz alledem waren die Tumulte dieses Jahr bereits weitaus geringer und es wäre schön, wenn sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt.

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